Polarimetrie

Titelblatt


Anwendungsbeispiel
Polarimetrie
WiSe 2022/2023

Abgabedatum
30.11.2022

Expertengruppe 12
Charlotte Brocke
Charlotte Grimmelsmann
Jolya Farzly
Raghad Benni




Anwendungsbeispiel der Polarimetrie aus dem Europäischen Arzneibuch. Monographiebeispiel: Lactose (Ph.Eur.10.3/1061)

Prüfung auf Reinheit von Lactose mittels Polarimetrie

Inhaltsverzeichnis

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Stoffcharakterisierung


Strukturformel der Lactose (C12H22O11)1

Lactose (Milchzucker) ist ein Disaccharid und setzt sich aus den Molekülen Galactose und Glucose zusammen, die mittels ß-1,4-glykosidischer Verbindung verknüpft sind.2 Es handelt sich um einen farblosen, kristallinen Feststoff, der in Wasser löslich ist.3
In natürlicher Form kommt Lactose in der Milch von Säugetieren vor, daher wird sie in der Lebensmittelbranche auch in Säuglingspulver verwendet. Zu pharmazeutischen Zwecken wird sie häufig als Hilfsstoff genutzt, zum Beispiel bei der Herstellung von Kapseln und Tabletten.4 Außerdem wird Lactose als Laxans bei Obstipation verwendet. Ihre osmotische Aktivität bewirkt eine Wasserretention im Darmlumen, wodurch der Stuhl weicher wird. Zusätzlich kommt es zu einer Steigerung der Darmperistaltik, da Darmbakterien die Lactose in Milchsäure umwandeln und damit den pH-Wert senken.5
Ca. 5-15% der Menschen in Europa sind lactoseintolerant, wodurch sie an Beschwerden wie Übelkeit, Völlegefühl, Bauchkrämpfen, Flatulenz (=Blähungen) und Durchfällen in unterschiedlichem Ausmaß leiden. Ursache der Lactoseintoleranz ist ein Mangel oder das komplette Fehlen des Enzyms Lactase in der Dünndarmschleimhaut, welches Lactose in ihre Einzelbestandteile spaltet, sodass diese resorbiert werden können.6
Lactose besitzt aufgrund der Halbacetal-Struktur eine reduzierende Wirkung.7 In wässriger Form liegt sie als α- und ß-D-Lactose vor (ß-Form überwiegt), sie unterscheiden sich also in der Anordnung ihrer OH-Gruppen an dem Halbacetal-Kohlenstoff.8
Außerdem unterliegt Lactose der Mutarotation, also der Änderung des Drehwertes mit der Zeit. Ursache dafür sind chemische Reaktionen, bei denen sich die optisch aktive Verbindung ändert. Eine katalytische Zugabe von Säuren/Basen beschleunigt die Einstellung des Mutarotationsgleichgewichts, ebenso Temperaturen über 70°C.9

Versuchsdurchführung

Mithilfe des Polarimeters wird die optische Aktivität gemessen, welche die Fähigkeit einer Substanz beschreibt, die Schwingungsebene von linear polarisiertem Licht um einen bestimmten Winkel (α) zu drehen. Dies kann in Richtung des Uhrzeigersinnes (+) oder in entgegengesetzter Richtung (-) erfolgen. Die Voraussetzung für die optische Aktivität ist die Chiralität. Anorganische Moleküle können, wenn sie in chiralen Gittern kristallisieren, in ihrem festen Zustand optisch aktiv sein. Organische Moleküle dagegen sind chiral, wenn sie ein Chiralitätszentrum, eine Chiralitätsebene oder eine Chiralitätsachse besitzen und können in allen Aggregatzuständen optisch aktiv sein. Oftmals ist das der Fall, wenn ein asymmetrisch substituiertes Kohlenstoffatom vorliegt, welches vier verschiedene Bindungspartner hat.10
Um linear polarisiertes Licht zu erhalten, wird z.B. eine Natriumdampflampe bei 589nm verwendet, die monochromatisches Licht erzeugt. In einem dahinter geschalteten Polarisator werden die Lichtstrahlen polarisiert. Diese werden durch die Probe, die sich in einer Küvette befindet, geleitet und treffen so auf einen Analysator.11 Dieser wird während der Betrachtung durch das Okular gedreht und der Drehwinkel kann dann an der Winkelscheibe abgelesen werden.
In der Regel wird ein Halbschattenpolarimeter angewendet, bei dem zwei Halbschatten in ihrer Helligkeit verglichen werden. Eine modernere Möglichkeit ist die Verwendung eines lichtelektrischen Polarimeters.12 Eine ausführliche Beschreibung zur Polarimetrie und zum Aufbau eines Polarimeters gibt es hier.
Bei der Lactose wird die Messung der spezifischen Drehung als Reinheitsprüfung durchgeführt. Eine Gehaltsbestimmung ist bei der Lactose nicht vorgesehen. Die zu verwendende Lösung wird dabei unter Erwärmen bei 50 Grad Celsius hergestellt. Dafür werden 10,0g Substanz abgewogen und in 80ml Wasser R gelöst. Nach dem Abkühlen werden 0,2ml verdünnte Ammoniak-Lösung R1 dazugegeben und 30 Minuten gewartet. Nach dieser Zeit wird mit Wasser R auf 100,0ml aufgefüllt. Die Ammoniak-Lösung R1 wird hinzugegeben, um die Gleichgewichtseinstellung der Mutarotation zu beschleunigen.
Die Messung erfolgt bei Raumtemperatur (20 Grad Celsius ± 0,5). Zuerst wird der Nullpunkt mit Wasser R bestimmt, indem Wasser R ohne Probe in die Küvette eingefüllt und vermessen wird. Anschließend wird die Probe vermessen. Um eine sichere Messung zu gewährleisten, sollte die Probe fünf bis sechs Mal vermessen werden.13 14

Auswertung/ Interpretation/ Bedeutung und Eignung

Die Polarimetrie ist eine zuverlässige Methode, um sowohl auf Identität, Reinheit, als auch auf den Gehalt zu prüfen. Das Arzneibuch nutzt die Messung der spezifischen Drehung vor allem als Reinheitsprüfung bei chiralen Naturstoffen oder bei chiralen synthetischen Wirkstoffen, wie auch bei unserem Anwendungsbeispiel Lactose.15
Die spezifische Drehung (°⋅mL⋅g-1⋅dm-1) wird wie folgt berechnet:16 ⚠ $$ [α] _{20,D} = \frac{α}{c \cdot l}\ ⚠ $$

α: abgelesener Winkel in Grad;
c: Konzentration in g/mL;
l: Küvettenschichtdicke in dm
bei 20 Grad Celsius und 589nm der D-Linie des Natriums

Die spezifische Drehung der Lactose (wasserfreie Substanz) muss zwischen +54,4°⋅mL⋅g-1⋅dm-1 und +55,9°⋅mL⋅g-1⋅dm-1 liegen.17
Eine große Herausforderung dieser Methode ist, dass der Drehwinkel α von vielen Faktoren abhängig ist. So sind die Temperatur, das Lösungsmittel, die Wellenlänge, die durchstrahlte Schichtdicke und die Konzentration der Probe entscheidend für die Richtigkeit der Messung.18
Es gibt einige Fehlerquellen, denen man entgegenwirken sollte, so ist es zum Beispiel sehr wichtig darauf zu achten, dass keine Luftblasen in der Küvette sind, da diese das Messergebnis verfälschen. Außerdem muss die Küvette vollständig gefüllt sein und die Substanz muss selbstverständlich komplett gelöst vorliegen. Zusätzlich ist es wichtig, dass die Lösung lang genug stehen gelassen wird, damit sich das Mutarotationsgleichgewicht vollständig einstellen kann. Bei der anschließenden Berechnung ist auf die einzusetzenden Zahlenwerte mit passenden Einheiten zu achten (Achtung: die Schichtdicke wird in dm eingesetzt!).
Allgemein ist noch zu erwähnen, dass Enantiomere sich nicht in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften, sondern nur in ihrer optischen Aktivität unterscheiden. Liegen die Enantiomere als äquimolares Gemisch (=Racemat) vor, ist dies optisch inaktiv. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Drehung des einen Enantiomers (linksdrehend) die Drehung des anderen (rechtsdrehend) auslöscht. 19

Übungsaufgaben

Multiple Choice (MC) Frage: Quantifizierung mit dem Polarimeter

Welche der folgenden Substanzen lassen sich mittels Polarimetrie nicht quantifizieren?

1. Maleinsäure
2. L-Leucin
3. L-Glycerinaldehyd
4. Glycin
5. Glucose

a) nur 1
b) nur 2 und 3
c) nur 1 und 4
d) nur 5
e) 1 bis 5 (alle)

Antwort C ist korrekt.
Glycin und Maleinsäure sind nicht chiral und können daher linear polarisiertes Licht nicht drehen.
Alle anderen oben genannten Substanzen sind chiral.


Strukturformeln der oben genannten Verbindungen mit ihren Chiralitätszentren 20

Textaufgaben zur Polarimetrie

  1. Von einer Probe werden 2,5g eingewogen und mit demineralisiertem Wasser in einem Messkolben auf 50,0mL aufgefüllt. In einem Polarimeter vermessen, ergibt sich unter Standardbedindungen (d=10cm, λ=589nm, T=20°C) ein Drehwinkel von + 2,7°. Welche spezifische Drehung weist diese Probe auf? Handelt es sich bei der Probe um Lactose?

Konzentration der Lösung:
c=m/V = 2,5g/50,0mL = 0,05g/mL
Spezifische Drehung der Lösung:
α20,D=α/(c⋅l) = 2,7°/(0,05g/mL⋅1dm) = 54°⋅mL/(g⋅dm)
[Beachte, dass die Schichtdicke in dm in die Formel eingesetzt werden muss; 10cm=1dm]
Es handelt sich bei der Probe nicht um Lactose, da die spezifische Drehung zwischen +54,4°⋅mL⋅g-1⋅dm-1 und +55,9°⋅mL⋅g-1⋅dm-1 liegen muss.

  1. Was versteht man unter Mutarotation? Warum zeigt Saccharose keine Mutarotation? 21

Unter Mutarotation versteht man die Eigenschaft eines Stoffes, den Drehwinkel mit der Zeit vom Ansetzen der Lösung bis zum Erreichen eines konstanten Endwertes zu ändern. Das liegt daran, dass einige Stoffe (wie zum Beispiel auch Lactose) in wässriger Lösung als ringförmiges Halbacetal vorliegen, wodurch eine α- und eine β- Form entstehen, zwischen denen sich zuerst ein Gleichgewicht einstellen muss.
Saccharose zeigt keine Mutarotation, da es sich um ein Vollacetal handelt. Diese können in neutralem Milieu, also zum Beispiel Wasser, nicht in verschiedene Formen gespalten werden.


Strukturformeln von Lactose und Saccharose im Vergleich 22
  1. Ergänzen Sie den folgenden Lückentext.
    In der Regel wird die optische Drehung mit zwei (1) gemessen. Der erste dient zur Erzeugung von (2) aus unpolarisiertem Licht unter Verwendung von Prismen, zum Beispiel (3) und Glan-Thomson-Prismen sowie Polarisationsfiltern und (4). Der zweite Polarisator dient als (5). Als Lichtquelle wird eine (6) verwendet, aber in kommerziellen Geräten sind häufig auch LED-Lampen verbaut, die mithilfe von Filtern monochromatisches Licht einer Wellenlänge von (7) erzeugen. Polarisator und Analysator befinden sich in der Regel in einer gekreuzten Position (90°), dadurch gelangt kein Licht zum Betrachter. Wenn eine (8) Substanz zwischen die Polarisatoren eingeführt wird, fällt das Licht durch die gekreuzten Analysatoren so, dass die Analysatoren um andere Winkel als 90°oder 270° gedreht werden müssen, um den einfallenden Lichtstrahl zu blockieren. (9) des Winkels zur ursprünglichen Kreuzposition des Analysators entspricht der optischen Drehung der Probe.23

  1. Polarisatoren
  2. linear polarisiertem Licht
  3. Nicolsche Prismen
  4. Polarisationsfolien
  5. Analysator
  6. Natriumdampflampe
  7. 589nm
  8. optisch aktive
  9. Die Differenz
  1. Welche Besonderheiten weisen Weinsäure und Äpfelsäure auf? 24

Bei der Weinsäure ist die spezifische Drehung konzentrationsabhängig; bei Äpfelsäure erfolgt eine Umkehrung der Drehrichtung in Abhängigkeit der Konzentration.

Einzelnachweise

1 Goodnotes, erstellt von Charlotte Grimmelsmann am 21.12.2022

2 https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Lactose_1108 Zugriff: 21.12.2022; 12:54 Uhr

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Lactose Zugriff: 21.12.2022; 12:39 Uhr

5 https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Lactose_1108 Zugriff: 21.12.2022; 12:54 Uhr

7 Skript Organische Chemie (TU Braunschweig, Prof. Dr. Conrad Kunick), SoSe 2022, Kapitel 15: Kohlenhydrate, Seite 19

8 Skript der Instrumentellen Analytik (TU Braunschweig, Dr. Thomas Kellner), WiSe22/23, Polarimetrie, Seite 17

9 https://www.chemie.de/lexikon/Mutarotation.html Zugriff: 21.12.2022; 13:06 Uhr

12 Skript der Instrumentellen Analytik (TU Braunschweig, Dr. Thomas Kellner), WiSe22/23, Polarimetrie, Seite 12ff.

13 Europäisches Arzneibuch (2022), 10.Auflage 3.Nachtrag, Lactose (Ph.Eur.10.3/1061ff.)

14 Kommentar zum Europäischen Arzneibuch (2022), 69.Aktualisierungslieferung, Seite 1061ff.

15 Eberhard Ehlers (2002), Analytik II, 10.Auflage, Stuttgart, Seite 322ff.

16 Skript der Instrumentellen Analytik (TU Braunschweig, Dr. Thomas Kellner), WiSe22/23, Polarimetrie, Seite 15

17 Europäisches Arzneibuch (2022), 10.Auflage 3.Nachtrag, Lactose(Ph.Eur.10.3/1061ff.)

18 Skript der Instrumentellen Analytik (TU Braunschweig, Dr. Thomas Kellner), WiSe22/23, Polarimetrie, Seite 16

19 Skript Stereochemie (TU Braunschweig, Prof. Dr. Conrad Kunick), SoSe 2022, Kapitel Racemate, Seite 1

20 Goodnotes, erstellt von Charlotte Grimmelsmann am 05.01.2023

21 https://www.chemie-schule.de/KnowHow/Mutarotation4 Zugriff: 21.12.2022; 13:09 Uhr

22 Goodnotes, erstellt von Charlotte Brocke am 05.01.2023

23 https://media.dav-medien.de/sample/9783804738300_p.pdf Seite 2, Zugriff: 21.12.2022; 13:11 Uhr

24 Skript der Instrumentellen Analytik (TU Braunschweig, Dr. Thomas Kellner), WiSe22/23, Polarimetrie, Seite 17