Nahinfrarot-Spektroskopie

Titelblatt


Bericht der Expertengruppe für
Nahinfrarot-Spektroskopie
SoSe 2021

Abgabedatum
21.06.2021

Über-/Expertengruppe 13
Bennek, Alexandra
Bodtke, Luisa
Ghadiri, Victoria
Hussein, Ewar
Mhedden, Koschan
Zhanet Barakat, Antoaneta

Nahinfrarot-Spektroskopie

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Nahinfrarot-Spektroskopie, kurz NIR-Spektroskopie, ist ein Verfahren um Arznei- und Hilfsstoffe zu identifizieren sowie quantitativ zu analysieren. Hierbei kommt es zu Molekülschwingungen, die durch Anregung von elektromagnetischen Wellen induziert werden. Ausgewertet werden Oberschwingungen im Bereich von 800nm bis 2500nm.

Physikalische Grundlagen

Wellenlängenbereich

Das Infrarote Spektrum umfasst einen Wellenlängenbereich von 800nm bis 500μm und wird in drei Teilbereiche unterteilt. Den Nahinfrarot – Bereich (0,8μm bis 2,5μm), den Mittleren Infrarot – Bereich (2,5μm bis 50μm) und den Ferninfrarot – Bereich (50μm bis 500μm).

Hauptsächlich werden bei der NIR-Spektroskopie Oberschwingungen von Molekülen bei Bestrahlung mit Licht im Nahinfrarot-Bereich betrachtet. Im Vergleich zur MIR-Spektroskopie ist es möglich bei erhöhter Energie schwer anregbare Oberschwingungen von Molekülen zu messen. Aufgrund dieser erhöhten Energie ist eine größere Eindringtiefe in die Probe möglich, was zu einer besseren Abbildung dieser führt.

Historisch bedingt betrachtet man in der NIR-Spektroskopie die Wellenzahl. Die Definition der Wellenzahl ist der Kehrwert der Wellenlänge. Es liegt ein Wellenzahlbereich von 12500cm-1 bis 4000cm-1 für den Nahinfrarotbereich vor. Während die Wellenzahl und Frequenz proportional zur Ernegie sind, verhält sich die Wellenlänge antiproportional.1

Oberschwingungen

Abb.1: Oberschwingungen.2

Durch die Absorption von Strahlung des infraroten Spektralbereichs werden Moleküle in Schwingung versetzt. Da in der NIR-Spektroskopie mit einer deutlich höheren Energie im Vergleich zur MIR-Spektroskopie gearbeitet wird, treten überwiegend Oberschwingungen der XH-Valenzschwingungen (OH-, NH-, CH-, SH - Bindungen) im Bereich 12500cm-1 bis 4000 cm-1 sowie Kombinationsschwingungen auf. Letztere entstehen durch Addition mehrerer Grundschwingungen und verursachen zusammen mit den Differenzbanden, also der Differenz der Grundschwingungen, eine Bandenüberlappung. Dies macht eine visuelle Auswertung der erhaltenen Spektren gar unmöglich und erfordert eine Software zur mathematischen Umrechnung.

Oberschwingungen lassen sich anhand der Obertöne an Saiteninstrumenten verdeutlichen. Wird eine A Saite angeschlagen und schwingt in ihrer ganzen Länge, ergibt dies den Grundton. Währenddessen schwingt die Saite jedoch auch in ihrer halben Länge. In diesem Fall verdoppeln sich sowohl die Frequenz als auch die Schwingungsgeschwindigkeit und ein Oberton wird erzeugt. Dieser ist im Vergleich zum Grundton eine Oktave höher. Weitere Obertöne entstehen beispielsweise durch Schwingungen der Saite in ihrer Drittel- und Viertellänge. Projiziert man dieses Beispiel auf Molekülschwingungen, so entstehen gleichzeitig zu den Grundschwingungen der Atome Oberschwingungen. Bei Zunahme der Frequenz schwingen auch die Atome einer Bindung schneller.

Um Molekülschwingungen vereinfacht darzustellen, bietet sich das Modell des harmonischen Oszillators an. Hier schwingt eine Masse m cosinusförmig (harmonisch) um ihre Ruhelage. Da die Masse einer ständigen Geschwindigkeitsänderung unterliegt, gilt das zweite Newtonsche Gesetz ⚠ $F = m ⋅ a$. Diese Kraft kann hier durch das Hook‘sche Gesetz dargestellt werden

⚠ $$F = - k ⋅ r⚠ $$

⚠ $F$: Rückstellkraft

⚠ $k$: Federkonstante

⚠ $r$: Auslenkung


Der Energiebedarf einer solchen Molekülschwingung lässt sich durch die Plank‘sche Gleichung ⚠ $E = h ⋅ v$ ermitteln.

Folgende Gleichung beschreibt den Energiezustand einer schwingenden Gruppe: ⚠ $$E = h ⋅ v ( n + 1/2 )⚠ $$

⚠ $h$: Planck´sches Wirkungsquantum = 6,626⋅10-34Js

⚠ $v$: Frequenz [1/s, Hz]


Die Quantenzahl n ist hierbei Element der ganzen Zahlen. Da die Energie nur diskrete Werte annehmen kann, wird die Quantelung anhand dieser Gleichung deutlich.

Für harmonische Molekülschwingungen sind die Abstände zweier benachbarter Anregungszustände jeweils gleich. Nur elektromagnetische Strahlung einer bestimmten Wellenlänge kann eine bestimmte Zustandsänderung von einem Energieniveau auf das nächste hervorrufen. Da chemische Bindungen nur begrenzt dehn- und stauchbar sind, stößt das Modell des harmonischen Oszillators an seine Grenzen. Unterschiedliche Bindungsstärken und Atommassen der Moleküle verursachen anharmonische Schwingungen. Die Abstände zweier benachbarter Anregungszustände variieren jetzt und werden mit zunehmender Quantenzahl dichter (Siehe Abb. 2). Während bei harmonischen Schwingungen nur Anregungen auf benachbarte Zustände möglich sind, so sind bei anharmonischen Schwingungen auch Anregungen über mehrere Energieniveaus, sprich Absorptionen über mehrere Wellenlängen möglich. Betrachtet man ein Molekül mit mehr als 2 Atomen, so beeinflussen sich die Bindungen ihrer schwingungsfähigen Gruppen. Dies wird auch als gekoppelter Oszillator bezeichnet und stellt das zu verwendende Modell dar. 3 4

Abb.2: Anharmoischer Oszillator (v=Schwingungsquantenzahl).5

Instrumenteller Aufbau

Laut dem Europäischen Arzneibuch unterscheidet man zwischen mobilen und Labortischgeräten.

Gesondert betrachtet werden In-Line-Messungen, welche direkt und ohne Änderung an die Probe gehalten werden können. Dabei spielt hier die mechanische Robustheit und Messgeschwindigkeit eine Rolle. 6

NIR-Geräte besitzen prinzipiell den gleichen Aufbau wie MIR-Geräte. Sie bestehen aus einer Lichtquelle, meist eine Wolframhalogenlampe, welche einen kontinuierlichen Lichtstrahl produziert. Sie sind im Wellenlängenbereich von 320nm bis ca. 800nm einsetzbar. Die Wolframlampe weist ein geringes Rauschen auf. Alternativ können auch Leuchtdioden eingesetzt werden.

Der Probenbehälter besteht aus Glas oder Quarz und kann für Lösungsmittel oder Flüssigkeiten verwendet werden.

Man unterscheidet zwischen Geräten mit einem Monochromator oder einem Interferometer.

Monochromatoren sind in dispersiven Geräten auffindbar und Interferometer in Fourier-Transform-Geräten sowie in Fiberoptiksonden.7

Beide Geräte enthalten außerdem einen Detektor, dessen Funktion die Umwandlung von optischen Lichtsignalen in elektronische Signale ist. 8

Eine elektronische Datenverarbeitungssoftware (EDV-Software) ist in jedem Gerät integriert und dient zur Verarbeitung der Messdaten. 9

Messmethoden der NIR-Spektroskopie

Abb. 3: Vier Messmethoden:

A und D stellen eine klare Lösung dar

B ist schattiert und hat eine geringere Schichtdicke

C ist schwarz und somit eine sehr dichte Schichtdicke

D nur der hintere Teil ist schwarz und reflektiert

10

Man unterteilt in vier Messmethoden. Es wird zwischen den Prinzipien der Transmission, der diffusen Transmission, der diffusen Reflexion sowie der Transflexion unterschieden (siehe Abb. 3: Messmethoden). 11

Bei der Transmission wird die Strahlungsintensität gemessen, die nach dem Durchdringen der Probe am Detektor ankommt. Ist eine Flüssigkeit trüb, treten die Lichtstrahlen nicht mehr gebündelt, sondern zerstreut auf (siehe Abb. 3 B). Diese Messmethode nennt sich dann diffuse Transmission und wird bei Suspensionen und bei einigen Tabletten oder Kapseln, wenn sie eine geringe Schichtdicke aufweisen, verwendet. Beide Arten der Transmissionsmessung finden auch in der MIR-Spektroskopie Anwendung.

Die diffuse Reflexion ist eine Messung, die den Anteil des Lichtes der von der Probe nicht aufgenommen, sondern reflektiert wird (siehe Abb. 3 C). Vermessen werden halbfeste Zubereitungen wie Pasten und undurchlässige Festkörper, wie dicke Tabletten und Haufwerke. Hierbei ist zu beachten, dass die NIR-Strahlung unterschiedlich tief in die Probe eindringt, was eine Vergleichsmessung erfordert.

Die Transflexion ist eine Mischung aus Transmission und Reflexion. Es wird eine reflektierende, strahlungsundurchlässige Schicht, beispielsweise Titandioxid, hinter der Probe angebracht, sodass die Probe zweimal durchstrahlt wird. Die Schichtdicke verdoppelt sich. Diese Methode wird für NIR-Licht durchlässige Materialien verwendet, wie zum Beispiel transparente Kunststoffmaterialien, Festkörper, Flüssigkeiten und Suspensionen.12

Dispersive Geräte der NIR-Spektroskopie

Jedes Medium besitzt eine spezifische Absorption. Wird ein Medium mit Licht bestrahlt, kommt es zur Brechung des Lichtstrahls und es ergibt sich eine spezifische Ausbreitungsgeschwindigkeit innerhalb des Mediums. Ist die Dispersion des Mediums gleich Null, hängt der Brechungsindex von der Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung ab. Betrachtet man mehrfarbiges Licht, erfährt jede Wellenlänge eine andere Ablenkung und das gebrochene Lichtbündel breitet sich als divergierendes Lichtbündel aus. Dieser Effekt findet sowohl an der Eintrittstelle als auch an der Austrittfläche statt. Sind beide parallel angeordnet, heben sich die Aufspaltung und die Strahlendivergenz auf. 13

In dispersiven Geräten werden Wellenlängen nacheinander untersucht. Polychromatische Strahlung wird hierfür auf einen Monochromator, beispielsweise ein optisches Gitter oder Prisma, geworfen. Die einzelnen Wellenlängen fallen zeitlich nacheinander auf einen Spalt, wechselwirken mit der Probe und werden anschließend von einem Detektor detektiert.14

Fourier-Transform-Geräte in der NIR-Spektroskopie


Abb. 5: Schematische Darstellung von Fourier-Transform-Geräte. 15

Abb. 4: Michelson-Interferometer. 16

Die FTIR-Spektroskopie findet Anwendung in der pharmazeutischen-, chemischen- und Polymerindustrie und wird zur Analyse von Molekülen verwendet. Ein klassisches Fourier-Transformations-IR-Spektrometer besteht aus vier Bauteilen (siehe Abb. 5).

Einer Lichtquelle, meist ein Infrarotstrahler, einem Probenraum, einem Thermo- oder Photonendetektor und einem Interferometer, beispielsweise dem Michelson-Interferometer (siehe Abb. 4). Letzteres besteht aus einem festen und einem beweglichen Spiegel, sowie einem Strahlungsteiler. Polychromatisches Licht wird durch den halbdurchlässigen Spiegel (Strahlungsteiler) in zwei Strahlen aufgeteilt, wobei jeweils ein Strahl auf einen Spiegel trifft. Dort werden sie reflektiert, am Strahlungsteiler vereinigt und treffen auf die Probe. Beide Strahlen weisen die gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit auf. Es entsteht ein konstruktives und destruktives Interferenzmuster, das Interferogramm. Die im Interferogramm dargestellte Intensität ist abhängig von der Spiegelbewegung und der Zeit.

Durchquert das interferierte Licht die Probe werden einzelne Wellenlängen teilweise oder ganz absorbiert. Das Inteferenzmuster wird in einem Intensitäts-Zeit-Interferogramm dargestellt. Dieses muss zur Interpretation fourier-transformiert werden um eine Darstellung in der Frequenz-Domäne und somit ein Intensitäts-Wellenzahl-Interferogramm zu erhalten. 17 18

NIR-Geräte mit Fiberoptiksonden

Bei der NIR-Spektroskopie kann man in den Messmodi der diffusen Reflexion und der Transflexion Fiberoptiksonden/ Fiberglassonden einsetzen.

Mit diesen Messsonden kann die Probe berührungslos vermessen werden, indem die Fiberoptiksonde ohne Probenvorbereitung beispielsweise in ein Haufwerk gehalten werden kann. Das verhindert, dass Substanz für die Messung verbraucht wird.

Fiberoptiksonden emittieren IR-Strahlen über mehrere Lichtfasern auf die Probe, nehmen über weitere Lichtfasern die remittierte Strahlung wieder auf und leiten diese an den Detektor weiter. 19


Abb. 6: Schematische Darstellung der Messung mit Fiberoptiksonden. 20

Detektoren

Als Detektoren in der NIR-Spektroskopie werden Halbleiterdetektoren (Fotodioden) mit sensitiver Empfindlichkeit für Wellenlängen von 900nm bis 2500nm verwendet. Diese Dioden bestehen häufig aus Indium-Gallium-Arsenid (InGaAs)-Einkristallen. Hierbei werden mehrere Fotodioden in einer Reihe auf einem Chip angeordnet und bilden eine Fotodiodenzeile. Man erhält einen Photodiodenarray-Detektor.

Eine Kühlung der Dioden steigert den Informationsgehalt, da ein größerer Wellenzahlenbereich (13000cm-1 - 4000cm-1 statt 10000cm-1 - 5200cm-1) untersucht werden kann.

Für undurchlässige Festkörper, beispielsweise Haufwerke, Pasten und Tabletten, wird die diffuse Reflexion mithilfe einer Fiberoptiksonde als Messtechnik verwendet. Die Stellung der Detektoren spielt hier eine wichtige Rolle. So ist bei der diffusen Reflexion und Transflexion zu beachten, dass sich der Detektor üblicherweise im 45°-Winkel zur Bestrahlungsrichtung befindet. Da die Strahlung reflektiert wird, darf sich der Detektor nicht hinter der Probe befinden. Anders ist dies bei der Transmission und der diffusen Transmission, in diesem Fall befindet sich der Detektor hinter der zu messenden Probe. 21

Auswertung der NIR-Spektren

Da in der NIR-Spektroskopie keine charakteristischen Banden im Spektrum auftreten, denen eine konkrete funktionelle Gruppe zugeordnet werden kann, ist im Vergleich zur MIR-Spektroskopie die korrekte Datenverarbeitung deutlich umfangreicher. Visuell ist die Spektrenauswertung nicht möglich, es muss eine multivariate Datenverarbeitung stattfinden, die zudem Störeffekte eliminiert. Hierfür ist ein mathematisches Auswertungsverfahren von spektralen Referenzbibliotheken (Spektrensammlungen) als Vergleich nötig.

Diese Datenbanken müssen im Vorfeld aufgebaut werden und ausreichend groß sein. Sie beinhalten in ein kartesisches Koordinatensystem eingearbeitete Spektrendaten. Die x-Variablen beschreiben die Wellenzahlen, die y-Variablen Gehalt, Identität und Größe und ermöglichen so eine Clusterunterteilung.

Um Messfehler zu verhindern ist eine mathematische Korrektur (z.B. Streulichtkorrektur) von Störeffekten nötig. 22

Einflussfaktoren auf die NIR-Spektroskopie

Für eine qualitative Auswertung der Spektren wären mögliche Einflussfaktoren auf die NIR-Spektroskopie vernachlässigbar. Für eine korrekte Quantifizierung müssen diese Faktoren allerdings ausreichend berücksichtigt werden. So verursacht z.B. der Wassergehalt in einer Probe starke Absorptionsbanden im Spektrum und es entsteht eine Überlagerung anderer Banden. Deshalb muss die Luftfeuchtigkeit kontrolliert werden, die wiederum von der Temperatur abhängt. Auch die Temperatur selbst hat Auswirkungen auf die Messung, besonders bei Flüssigkeiten, und sollte deshalb konstant bei 20°C gehalten werden.

Störfaktoren für das Spektrum sind Einflüsse wie Wassergehalt und Temperatur (insbesondere bei hygroskopischen Stoffen), weshalb diese als Nachteil aufgefasst werden können. Jedoch lassen sich durch eine ausreichend große Datenbank so auch Rückschlüsse auf diese Faktoren in einer Probe ziehen.

Ebenfalls eine wichtige Rolle spielen Lösemittelrückstände. Zur Inprozess- und/oder Qualitätskontrolle kann dieses Wissen genutzt werden, um evtl. noch vorhandenes Lösemittel zu entfernen.

Mehrfachmessungen an unterschiedlichen Positionen der Probe werden durchgeführt, um Inhomogenitäten der Teilchengröße auszugleichen. Hierfür kann die Pulverprobe auch zusätzlich aufgestampft werden, sodass eine Bodenbedeckung des Pulvers sichergestellt werden kann. Solange eine Mindestschichtdicke eingehalten wird, hat die Probenschichtdicke bei Messungen der Reflexion keine Relevanz. Lediglich im Transmissionsmodus muss darauf geachtet werden, zumal bei einer Erhöhung der Schichtdicke mehr Strahlung absorbiert wird.

Da Substanzen mit der Zeit Wasser absorbieren können, oder sich die Kristallform ändern kann, sollten nur gleich alte Proben miteinander vergleichen werden.23

Anwendung der NIR Spektroskopie in der pharmazeutischen Analytik

Die NIR-Spektroskopie ist eine schnelle und unkomplizierte Methode zur Identifizierung von Arzneistoffen im Apothekenalltag. Die Proben können ohne jegliche Vorbereitung mithilfe des Spektrometers untersucht werden. Der Hersteller stellt eine gerätespezifische, umfangreiche und praxistaugliche Datenbank zur Verfügung, die auf experimentell ermittelten Messdaten von Vergleichsspektren basiert. Sie liefert Informationen über die chemischen und physikalischen Eigenschaften von handelsüblichen Proben, die in der Apotheke angewendet werden. Im Schnitt können ungefähr 80% der Ausgangsstoffe mittels der gegebenen Datenbank identifiziert werden. 24

In der Apotheke können Identifikationen von Ausgangsstoffen sowohl vor der Herstellung als auch während der Defektur erfolgen. Gerade bei hochpotenten Wirkstoffen sowie Betäubungsmitteln kann eine berührungslose und verlustfreie Analyse stattfinden, da die elektromagnetische Strahlung des nahen Infrarotbereichs das Durchdringen von Glas und Blisterverpackungen ermöglicht. Ebenso ist eine Analyse der physikalisch-chemischen Eigenschaften zur Bestimmung von Polymorphie und der Teilchengröße möglich, aber auch die Analyse von pflanzlichen Drogen. 25

Das Spektrometer ist durch den Produzenten bereits voreingestellt, sodass lediglich der Messmodus für die zu bestimmende Substanz durch das Apothekenpersonal auf Übereinstimmung mit den Referenzwerten angepasst werden muss. Um die Vorgaben des Qualitätsmanagements der chemometrischen Validität einzuhalten, sind zusätzliche Prüfungsmethoden nicht auszuschließen. 26

Nachteilig ist der hohe Preis eines NIR-Geräts. Vor allem kleine Apotheken können es sich nicht leisten mehrere tausend Euro für ein solches Gerät auszugeben und müssen auf die Alternativverfahren der Arzneibücher zurückgreifen.

Die NIR-Spektroskopie bietet sowohl in der pharmazeutischen Industrie, als auch im Apothekenalltag viele Vorteile. Es besteht eine schnelle Möglichkeit der Eingangskontrolle von Bulkware, sowie eine einfache Überwachung von Herstellungsverfahren, wie beispielsweise beim Granulations- und Tablettierverfahren, mittels einer Glassonde.

Im Rahmen der Prozessanalytik soll die Analyse und Kontrolle von Herstellungsprozessen zur Erhöhung der Produktqualität optimiert werden. 2002 definierte die Food and Drug Administration hierfür eine Leitlinie, das sogenannte PAT (process analytical technology). Nach dem Motto „Quality by design“ werden chemische und physikalische Parameter während der Produktion anhand von drei Implementierungsmöglichkeiten überwacht.

Eine Messung mittels Fiberoptiksonden lässt sich der In-Line Implementierung zuordnen. Sie kann direkt am Produktstrom erfolgen und hat keine Auswirkung auf den Produktionsprozess. Bei Mängeln kann noch während der Herstellung gegengewirkt werden. In der pharmazeutischen Industrie findet die NIR-Spektroskopie Anwendung zur Überwachung von Homogenität, Restfeuchte oder physikalischen Parametern wie der Partikelgröße.

Während einer Schmelzextrusion, bei Trocknungsprozessen oder zur Überprüfung einer kontinuierlichen Pulverhomogenität bei Direkttablettierungen besteht die Möglichkeit mit Hilfe einer NIR-Kugel zu messen. Im Inneren der Kugel befindet sich ein transparentes Rohr durch das unter Bestrahlung mit einer Halogenlampe das zu prüfende Pulver fließt. Das NIR- Signal wird von insgesamt sechs Sonden aus verschiedenen Winkeln detektiert und liefert hundert Spektren pro Sekunde, die zu einem großen Spektrum zusammengefasst werden. Da hier das gesamte Pulver gemessen wird, handelt es sich um eine repräsentative Probennahme.27

Einzelnachweise

1 Kellner, Skript zum Seminarteil zur NIR-Spektroskopie, SoSe2021, Folie 4 & 6, Braunschweig, 2021

2 selbst gezeichnet

3 Kellner, Skript zum Seminarteil zur Nahinfrarot-Spektroskopie, SoSe2021, Folien 6,7,8,10, Braunschweig, 2021

4 Rücker, Neugebauer und Willems, Instrumentelle pharmazeutische Analytik, Seite 182-185 Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2013

5 Kellner, Skript zum Seminarteil zur NIR-Spektroskopie, SoSe2021, Folie 7, Braunschweig, 2021, selbst bearbeitet

6 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

7 Kellner, Skript zum Seminarteil zur Nahinfrarot-Spektroskopie, SoSe2021, Folien 13, Braunschweig, 2021

8 Rücker, Neugebauer und Willems, Instrumentelle pharmazeutische Analytik, Seite 81, 223, 224, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2013.

9 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

10 Selbst gezeichnet nach Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie Abb. 1

11 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

12 Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie

13 https://de.wikipedia.org/wiki/Dispersionsprisma abgerufen am 01.06.2021, 14:30 Uhr

14 Dissertation von Karsten Brandenburg, Fakultät für Chemie Uni Erlangen; NIR-Analtyik ausgewählter chemischer Rohstoffe; April 2001, Kapitel 3.3.1

15 Selbst gezeichnet

16 Selbst gezeichnet

18 Kellner, Skript zum Seminarteil zur NIR-Spektroskopie, SoSe2021, Folien IR Folie 34-39, Braunschweig, 2021, selbst bearbeitet

19 T.Kellner, Skript zum Seminarteil zur Nahinfrarot-Spektroskopie, SoSe2021, Braunschweig, 2021

20 Selbst gezeichnet

21 Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie

22 Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie

23 Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie

24 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

25 Kommentar zur Ph. Eur. 8.0/2.02.40.00 2.2.40 NIR-Spektroskopie

26 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

27 Kellner, Skript zum Seminarteil zur Prozessanalytit, SoSe2021, Folien 3, 5, 7, 8 - 12, 15, Braunschweig, 2021

Monographie Beispiel: Blutgerinnungsfaktor VIII vom Menschen, Prüfung auf Reinheit: Gehalt an Wasser

Stoffcharakterisierung (Wirkung und Anwendung)

Beim Blutgerinnungsfaktor VIII des Menschen (antihämophiles Globulin A) handelt es sich um eine sterile, gefriergetrocknete Zubereitung einer Plasmaproteinfraktion. Sie wurde früher ausschließlich aus gespendetem humanem Blutplasma hergestellt und enthält außerdem ein Glycoprotein, herstellungsabhängige Mengen an Von-Willebrand-Faktor und eventuell Hilfsstoffe und/oder Stabilisatoren. Mittlerweile stehen auch gentechnisch hergestellte Präparate zur Verfügung. 1

Das Aussehen des Pulvers wird laut Ph. Eur. als brüchige Masse, weiß bis blassgelb, hygroskopisch beschrieben.

Ein akuter Mangel an Blutgerinnungsfaktor VIII führt zu Hämophilie A, umgangssprachlich Bluterkrankheit genannt. Ursache ist immer eine genetische Mutation des F8-Gens, bei dem blutende Wunden nicht oder nur schwer gerinnen. Es handelt sich also um eine Erbkrankheit, bei der sich Betroffene einer lebenslangen Substitustionstherapie unterziehen müssen. 2 Ein Überschuss hingegen ist ebenfalls lebensgefährlich, es kann zu Thrombenbildung mit erhöhtem Risiko von Thrombosen und Embolien kommen.3
Nebenwirkungen: Auch wenn die Substitution mit diesem Medikament unerlässlich ist, können wie bei jedem anderen Medikament natürlich Nebenwirkungen auftreten. Dazu zählen unter anderem allergische Reaktionen an der Einstichstelle, Quaddelbildung, Juckreiz, Hautausschläge, aber auch GIT-Beschwerden, Atemprobleme, Herzenge und niedriger Blutdruck. In jedem Fall sollte sofort ein Arzt konsultiert werden. 4

Durchführung der Monographie

Die Prüfung auf Reinheit erfolgt laut dem Arzneibuch unter anderem durch die Bestimmung des Wassergehalts. Da Wasser im Wellenzahlbereich 5400 bis 4500cm-1 eine starke Absorption aufweist, bietet sich die Anwendung der NIR-Spektroskopie an. Hierbei wird die zu prüfende Substanz ungelöst und in fester Form vermessen.

Bei der Messung wird elektromagnetische Strahlung zweier Wellenlängen auf die Probe ausgerichtet. Hierbei wird nur eine Wellenlänge vom Wasser absorbiert und als Probenstrahl bezeichnet. Der Referenzstrahl ist in diesem Fall entsprechend die elektromagnetische Strahlung der Wellenlänge, die nicht vom Wasser absorbiert wird. Der Wassergehalt ist proportional zum Amplitudenverhältnis der reflektierten Wellenlängen.

Kalibrierung: Um den Gehalt des enthaltenen Wassers zu quantifizieren, muss eine Kalibrierung des NIR-Geräts erfolgen. Hierbei spielt die Variabilität der betroffenen Substanz eine wichtige Rolle. Die Zielgrößen der Referenzsubstanzen müssen bekannt sein und alle Messpunkte müssen diesen entsprechen.5

Auswertung/ Interpretation/ Bedeutung und Eignung der analytischen Methode

Die NIR-Spektroskopie hat den Apothekenalltag in Bezug auf die Identifizierung von Arznei- und Hilfsstoffen revolutioniert. Sie bietet eine schnelle Möglichkeit der Identitätsprüfung ohne aufwendige Probenvorbereitung. Die erhaltenen Spektren können durch eine mathematische Datenverarbeitung chemische und physikalische Informationen der zu untersuchenden Substanz liefern.6

Einzelnachweise

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Blutgerinnungsfaktor_VIII abgerufen am 03.06.2021, 14:21 Uhr

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Blutgerinnungsfaktor_VIII abgerufen am 03.06.2021, 14:46 Uhr

3 https://flexikon.doccheck.com/de/Faktor_VIII abgerufen am 03.06.2021, 15:32 Uhr

5 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

6 Ph. Eur., Europäisches Arzneibuch 9.0, 2.2.40 NIR-Spektroskopie, Stuttgart, Deutscher Apothekerverlag, 2017

TU-Braunschweig
Institut für Medizinische und Pharmazeutische Chemie
Seminar: Instrumentelle Analytik
Kontakt: tubs@t-kellner.de